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Unsere Kirche

Eigentlich stehen Kirchen auf den höchsten Punkten eines Dorfes. Die neue Nauheimer Kirche ist eine Ausnahme. Warum? 
Wer dieser Frage in den Chroniken Nauheims (Chronik I; 2001) nachgeht, entdeckt, daß vor dem Dorf (auf einem Friedhof) schon einmal ein Kirchlein (Jacobskapelle?) gestanden hatte. Heute finden wir an der Stelle den Saalbau (Bahnhofstr. 36).
Der ca. 5m höhere Hügel, auf dem diese Kapelle gebaut worden war, wurde im Zuge der Dorferweiterung abgetragen. 
Diese Kapelle, die wohl schon um 1211 dort stand, wurde 1622 während des 30jährigen Krieges geplündert und verfiel. Ein undatiertes Blatt, das aber kurz vor 1800 geschrieben worden sein muss, berichtet von einer Versteigerung der letzten Überbleibsel: Holz, Steine usw. 

 

Neubau 1753​

Lange wurde die neue Kirche geplant, doch lange wirkte auch der Dreißigjährige Krieg nach: Nauheim war verarmt. Damit der Bau finanziert werden konnte, durfte auch in Dörfern der Umgebung mit Erlaubnis des Landgrafen Geld gesammelt werden.
Gebaut wurde die neue Kirche nach dem Plan der Ginsheimer Kirche, von Joh. Konrad Lichtenberg. Erst 1753 konnte der neue Bau unserer Kirche innerhalb des Dorfes auf dem Platz, an dem eine Scheune gestanden hatte, beendet werden.
Der für den Bau verantwortliche Pfarrer Vulpius wurde 1770 unter dem Altar bestattet. Während des Umbaus 1969 wurden seine sterblichen Überreste entdeckt und vor dem Altar in einem Schrein bestattet.

Kriegseinwirkungen​

Dem Gebäude sind im Lauf der Jahre so manche gewaltsamen Änderungen widerfahren: Die alten Glocken waren in beiden Weltkriegen „eingezogen“ worden, um z.B. in Munition umgewandelt zu werden. Die neuesten Glocken wurden in den Jahren 1924 und 1952 angebracht. 1917 erging es den Orgelpfeifen wie den alten Glocken. Die wiederhergestellte Orgel wurde 1924 eingeweiht. 
1944 gingen durch Bomben Fensterscheiben zu Bruch. Noch im März 1945 wurde der Turm von Flugzeugen beschossen, weil ein Artilleriebeobachter dort untergebracht worden war – benachbarte Scheunen wurden getroffen. Dennoch mußten nach dem Krieg im Dach Schäden, die durch Granatsplitter verursacht worden waren, ausgebessert werden. 
Seit 1945 begannen ruhigere Zeiten: Pfingsten 1945 fand der erste amerikanische Gottesdienst in der Kirche statt. 1947–1957 war auch die katholische Kirchengemeinde in dieser Kirche zu Gast (Bau der katholischen Jakobuskirche).

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Turm​

Der Turm gehörte bis 1955 der bürgerlichen Gemeinde. Die erste Turmuhr wurde 1837 ersetzt und verweigerte 1939 ihren regelmäßigen Dienst. 1963 bekam der Turm die Uhr, die wir heute sehen. Seit dem 18.6.2003 wird die Uhr über Funk gesteuert. 
Der Hahn auf der Spitze wurde nach 1945 renoviert – gehört er zum Urinventar von 1753? Diese Frage stellte sich vor einigen Monaten im Gemeindebrief. Inzwischen wurde herausgefunden, daß 1759 ein Kreuz und ein Hahn bei einem Handwerker bestellt worden waren. Kam der Hahn auf die Turmspitze und das Kreuz auf das Dach des Kirchenschiffs/des Gottesdienstraumes? Noch wissen wir es nicht, vielleicht werden wir es im Archiv einmal entdecken.

 

Der Umbau der Kirche 1969​

Es war im Jahr 1969, als sich Kirchenvorstand, Kirchenverwaltung und Denkmalspflege einig darüber waren, die Kirche nach der äußeren Instandsetzung nunmehr auch innen zu restaurieren.
Der Zahn der Zeit hatte auch das Innere der Kirche sichtbar angenagt:
Der dunkelgraue Anstrich der Holzelemente, die vom Heizungsruss geschwärzten Wände – eingeschlossen die Decke – und manches andere wirkten auf den Besucher nicht gerade einladend. 
Ziel war es, den Barockstil der Kirche zu erhalten und gleichzeitig notwendig gewordene bauliche Veränderungen vorzunehmen. 
Nach Ausschreibung des Projektes erhielt den Zuschlag der Architekt Hermann Fautz aus Rossdorf, der dann auch in der Folgezeit Beachtliches für die Kirchengemeinde leistete. Erwähnt sei allein der Neubau des Pfarrhauses und der Umbau der alten Zehntscheuer zu dem attraktiven „Gemeindezentrum Pfarrscheune“. Architekt und Pfarrer besuchten zahlreiche Gemeinden und Kirchen in der näheren und weiteren Umgebung, um Anregungen für die Neugestaltung des Kirchenraumes zu sammeln.


Nachdem sich der Kirchenvorstand in Zusammenarbeit mit der Bauabteilung der EKHN und in Absprache mit Dr. Kiesow (Landesdenkmalspflege) für einen Entwurf entschieden hatten, wurden die Baumaßnahmen begonnen.


Der Altarraum wurde völlig neu gestaltet. Der in das Kirchenschiff-Innere integrierte Abstellraum links und der „Aufenthaltsraum“ des Pfarrers rechts neben der Kanzel – vom Haupteingang aus gesehen – verschwanden. In dem unbebauten Raum zwischen Kirche und dem Nachbarhaus der Familie Graf war genügend Platz für einen in das Kirchenschiff integrierten Anbau mit Sakristei, zwei Toilettenräumen und einem würdigen Vorraum mit großer Eingangstür. So konnte der alte Haupteingang mit seinem umfangreichen (notwendigen) Windfang zugunsten der Erweiterung des Innenraumes „geschlossen“ werden. 
Durch den Anbau zwischen Kirche und Nachbargrundstück erhielt die Kirche einen zugluftfreien neuen Zugang. Der alte „Haupteingang“ sollte als Zugang besonderen Gottesdiensten vorbehalten bleiben.

Die Farbgebung des Kirchraumes, in der Planung und Konzeption sicher ein Wagnis, erwies sich im Nachhinein als gelungen. Die ehedem sehr dunkel gewordenen Wände wurden durch die leicht pastellfarbene Tönung licht. Alle Holzelemente, Säulen, Kanzel und Zwischenfelder der Empore, zuvor graumarmoriert und grau bemalt, wurden in barockerem Weiß lebendig – betont durch aufgelegtes Blattgold am gesamten Orgelprospekt und an der Kanzel.
Die Kirchenfenster, bis dahin zum kleinen Teil aus kolorierten Flachglasscheiben bestehend, wurden ersetzt durch mundgeblasene Butzenscheiben-Fenster aus einer Odenwälder Glashütte.
Aus einer Odenwälder Steinmetzwerkstatt stammen auch die Bodenplatten und der schlichte Altar aus Odenwälder rotem Sandstein. Ebenso die „Vase“ neben dem Altar und der Steinwürfel im Vorraum.
Das Gestühl „unten und oben“ wurde gänzlich erneuert und mit „Wangen“ versehen, die schon in früheren Zeiten den Bänken Halt gaben: Eine „Urwange“ fanden wir bei den Maurerarbeiten unter dickem Putz verborgen in der Wand hinter der Kanzel. 
An dieser Stelle sei erwähnt, dass alle Holzarbeiten von der Firma Schreinerei Fischer unter Federführung von Frau Liesel Fischer-Friedrich optimal bewerkstelligt wurden.
Handwerkliche Hochleistung wurde auch vom verstorbenen Schlossermeister Heinrich Weber erbracht: Nicht allein die Beschläge der Kirchentüren wurden nach alten Mustern in seiner Werkstatt handgeschmiedet, sondern auch das Altarkreuz. In harter Handarbeit schmiedete Herr Weber aus einem einzigen Stück Eisen dieses einmalige Kunstwerk. Aus seiner Hand und Werkstatt stammen auch die gehämmerte Taufschale aus Messingblech, die Altarkerzenleuchten, die Kerzenleuchten an den Wänden und der Kerzenhalter mit Bergkristall, der die Osterkerze trägt.
Die Lösung der Beleuchtungsfrage war nicht ganz einfach. Aus einer großen Anzahl von Angeboten fiel dann die endgültige Wahl bei dem Besuch einer Spezialfirma in Neheim-Hüsten (NRW): Die Klarglas-Kugellampen passten sich gut in den neu gestalteten Kirchenraum ein.
Hervorragende Lösung fand die Beheizungsfrage. Die vor dem Umbau vorhandene Gebläseheizung, die die Heißluft durch einen breiten hochgemauerten Schacht in die Kirche blies, wurde ersetzt durch eine den technischen Erfordernissen Rechnung tragende leistungsstarke Umluftheizung. Der Mauerdurchbruch für den Heizungs-Gebläseschacht kam der Vorraum-Konzeption zugute: Durch ihn betritt man heute vom Vorraum aus das Kirchenschiff.
Auf den neusten Stand wurde auch die gesamte Elektro-Installation gebracht – eine erhebliche Erleichterung für den Küsterdienst.

Erwähnung bedarf noch, dass die Namen der in den beiden Weltkriegen 1914–1918 und 1939–1945 Gefallenen auf den Holztafeln der Empore auf der Turmseite eingeschrieben waren. Schwer lesbar für den Kirchenbesucher. Der Kirchenvorstand beschloss, die Namen der Gefallenen sinnvoll der Nachwelt „vor Augen“ zu führen in der Überzeugung, dass echte Friedensarbeit nicht zu lösen ist von dem Gedenken an die in den Kriegen Gefallenen. Von einem Künstler wurden die Namen auf Pergament geschrieben und die Seiten in einen Schweinslederband gebunden. Dieses „Buch des Gedenkens“ fand seinen bleibenden Platz im Vorraum auf einem eigens dafür vorgesehenen Wandbrett – für jeden Besucher der Kirche einzusehen. Ein kleiner Blumenstrauß stand stets neben dem Buch. (Das war mindestens bis August 1988 der Fall)
 

Renovierungen​

Angesichts des Alters, das die Jacobskapelle erreicht hatte, ist die neue Kirche noch jung. Dennoch hatte sie zahlreiche Außen- und Innenrenovierungen erfahren. Doch auch über diese Renovierungen wissen wir im Augenblick noch nicht viel. Sobald das Archiv daraufhin durchgestöbert ist, werden wir Sie in den nächsten Gemeindebriefen über die Ergebnisse informieren. 
Deutlich wird jedoch, daß das Kircheninnere auch an den jeweiligen ästhetischen Geschmack der renovierenden Zeit und dem, was die jeweilige Zeit als wichtig angesehen hat, angepaßt worden ist. Die neueste Renovierung wird in einem eigenen Beitrag vorgestellt. Während dieser Renovierung wurde auch das Bibelwort über dem Haupteingang ersetzt. Heute steht dort das Wort des Propheten Amos: Suchet den Herrn, so werdet ihr leben. Vorher waren dort ein Psalmwort (Ps 26) und ein Gebot angebracht: Du sollst den Feiertag heiligen. Herr, ich habe lieb die Stätte deines Hauses und den Ort, da deine Ehre wohnt.

 

Was ist ein Kirchengebäude ohne Gemeinde?​

Das sehen wir heute vielfach in unserem Land, wenn Kirchen anderen Zwecken zugeführt werden müssen. Wir wünschen unserer Kirche, daß ihr dieses Schicksal erspart bleibe, auch wenn Gemeinde ohne Kirchengebäude ihre von Gott gegebenen Aufgaben erfüllen kann. Dennoch: Das Leben in einer Kirche ist einmalig. Es wird geprägt von Freude und Trauer, von Ernst und Gemeinschaft, von Bitten, Klagen und Danken, von ... – jeder einzelne Mensch macht auch in der Kirche seine ihm ureigenen Erfahrungen im Glauben.

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